windschatten
Kollaboration mit Autorin Sabrina Busch

Auf der Wiese 

Ein Vogel, sagst du, müsste man sein. 

Die Zeit im Nacken, die Stirn gerunzelt, Augen zusammengekniffen.  

Fühlst dich getrieben, kopflos. 

Und immer der Druck, wenn du es nicht machst, machen es andere.  

Überholen, übernehmen. 

Alleine im Wind, sagst du, das wär’s. 

Du fühlst die Leichtigkeit, wenn du die Augen schließt und die Arme ausbreitest. 

Davonfliegen, sagst du, alles hinter mir lassen. 

Mein eigenes Leben erleichtert durch das der anderen, durch Routinen und Abläufe. Wird angepasst und etabliert, wenn es läuft, läuft es wie geschmiert.  

Das aufzugeben, sage ich, wäre ein riesiges Opfer.  

Aber dein Kopfschütteln ist bestimmt.  

Ich opfere mich hier auf, sagst du, geb‘ mich hin, als wär‘ ich endlos. 

Wie du im Gras liegst, so kommt es mir vor, fliegst du nirgendwo hin.

Vielleicht schaff‘ ich ihn irgendwann, sagst du,  

den Absprung. 

Durch deine Zähne, deine Lippen schießt ein Pfeifton, steigt schnell an, doch sinkt sofort wieder. Klingt, als ginge es bergab, statt hoch hinaus. 

Formationen müssten wir bilden, sage ich. 

Aber wenn du Formationen hörst, denkst du an Militär oder Choreographie, an Kommando und Takt, denkst du an Sport, an Disziplin und Strategie, denkst vielleicht auch an Geologie. Ablagerungen, unverrückbar, versteinert seit vielen Jahrtausenden.  

Nee, wie die Vögel! sage ich und du siehst ihn sofort, den Schwarm, im Frühling oder Herbst, wie eine Wolke, eine Sprechblase am Himmel.  

Zu anstrengend, sagst du, immer umschlossen, immer auf andere achten, wo bleibt da die Freiheit? 

Deine Freiheit ist unteilbar, du stellst dir vor, irgendwo gibt es sie für dich allein. 

Klar, du bist ja schließlich immer auf jemanden angewiesen, sagst du und aus deinem Ton weht Kälte zu mir herüber. 

Mir wird ganz heiß, vor Scham und Unsicherheit. 

Hilfsmittel, Medikamente, Therapien, soziales Netz, du kannst ja gar nicht ohne, sagst du.  

Stimmt, sage ich. Sehe den Funken Mitleid, wie er über dein Gesicht blitzt, verschwindet, als du dir die Haare aus der Stirn streifst. Meine Hitze verfliegt, das Gras kitzelt im Nacken, hinter meinem rechten Ohr, kühlt meine Haut, neigt sich zu Boden, wenn ich meinen Kopf zu dir drehe.  

Mich hält hier nichts, sagst du und bleibst trotzdem an Ort und Stelle. 

Nicht alles, was hält, wiegt schwer, sage ich, denke an die Beziehungen, an die Ruhe und Freiräume, die meine Routinen schaffen. Denke an die Vögel, die sich im Herbst zusammen tun. Ihre Formation bilden und gemeinsam zum Mittelmeer fliegen. Du wurdest erzogen dich gegen andere durchzusetzen, anstatt mit ihnen durch die Lüfte zu segeln, Verantwortung zu übernehmen und auch wieder abzugeben. 

Du machst ja auch gar nicht erst mit bei dem ganzen Zirkus, sagst du, nimm‘ es mir nicht übel, aber du bist ja etwas außen vor. 

Betrachte dich mit Abstand, dein System, deinen Zirkus. Bleibe automatisch außen vor, passe nicht rein, schließe die Augen und meine Gedanken sind gerade federleicht.  

Es nimmt den Druck, sage ich, wenn man gezwungen ist Leistung zu hinterfragen. Auch mal im Windschatten mitfliegen zu dürfen. 

Aber du hörst gar nicht mehr zu, schaust auf die Uhr. Ich muss, sagst du, Termine und so. 

Schnappst dir deine Tasche und hebst zum Abschied nur die Hand. 

Ich bleibe im Gras und aus der Baumkrone über mir steigt eine Schar Vögel in die Luft.  

Meine Freiheit so greifbar, weiß wo sie Wirklichkeit ist und wo sie Illusion bleibt. 

Habe meine Formation gefunden, während du bei einer mitfliegst, die dich im Dunkeln lässt. 

 

 

Sabrina Busch. Windschatten. 

Ellinor Amini. Windschatten.
31 verschiedene Textilien auf dem Vorhang meiner Großmutter, 2023

turtle magazine(e). 5. Ausgabe. München 2023.